Vorübergehende Bilder, bleibend / Jens Peter Koerver / 2007 / vollständiger Text als PDF

Für den Anfang ein Einzelbild, eine Fotografie, auch Einladungskarte zu einer Ausstellung. Ein Augenblicks- und Gelegenheitsbild (eher Dokument als Kunstwerk) in dem vieles anklingt, wesentliches enthalten, aufgehoben ist: Zu sehen ist Esther Fritz bei der Arbeit. Im Zentrum der Aufnahme, im hellen Sonnenlicht eines (Spät)Sommertages die rechte Hand der Künstlerin, mit einem Bleistift zeichnend, im vollen Licht ein Bogen Papier, den ihre Linke leicht fixiert, am Verrutschen auf der Tischplatte hindert, während die zeichnende, die bewegliche Rechte den Schatten einer Pflanze auf dem Papier umreißt, markiert. Sie verfolgt mit der Spitze des Bleistifts die Grenze zwischen Licht und Schatten, dem hellen Papiernichts und dem dunklen Dingniederschlag. Protokolliert dieses instabile Lichtbild (minimal, stetig sich verändernd, verwandelnd mit dem unhaltbaren Sonnenstand) eines Ebereschenzweigs mit seiner Doldenrispe roter Beeren, der rechts am Bildrand zu sehen ist. Es geht nicht unmittelbar und eigentlich um die Pflanze, das Augenmerk der Künstlerin (zu sehen sind nur ihre Hände) gilt allein dem Schatten, sie arbeitet am Portrait dieses augenblicklichen, vorübergehenden Schattens, das bereits Gestalt annimmt: Der alles tragende Ast, ein Teil der Verzweigung sind eben mit einigen Linien fixiert worden und doch hat sich der Schatten schon von diesem eben noch gegebenen Zustand, dem bereits gezeichneten, (dem Fertigen des Blattes) entfernt. Erst wenige der kugeligen Früchte (ihre Schatten nehmen sie aus der Vereinzelung, verschmelzen sie zu amorphen Flächen, gerundet überall und durchbrochen von kleinen Lichtlöchern) und die sie tragenden Stängel sind ein Teil der Zeichnung geworden. Noch entsteht dieses Bild. Die zeichnende und die ruhende Hand werfen Schatten, ebenso der Bleistift, dessen Spitze das Papier und den eigenen Schatten berühren. Diese Hand- und Stiftschatten durchkreuzen, verdecken teilweise den anderen, den Pflanzenschatten, sie sind im Motiv, vermischen sich jetzt, fortwährend, unvermeidlich mit diesem, um die Übersetzung einer instabilen Situation ins Fixe der Zeichnung möglich zu machen, diese Mitschrift des Momentanen, die Verwandlung des Schattens der Pflanze in eine Zeichnung, die gegen die Flüchtigkeit des Augenblicklichen unter besonderer Berücksichtigung, ja in Zusammenarbeit mit dem Flüchtigen ein stabiles Bild des Wandels, des Vorübergehenden, des Unhaltbaren, etwas ganz anderes als ein Ebereschenast mit roten Früchten werden wird. ...weiterlesen »